Das politische Instrument der "Sozialen Erhaltungssatzung" für die "Westliche Unterwiehre" ist leider gescheitert. Am 17. Mai 2022 hat der Gemeinderat aufgrund der ausgewerteten Ergebnisse den Aufstellungsbeschluss wieder aufgehoben.
Zum Hintergrund:
Die im vergangenen Jahr durchgeführte Befragung aller Haushalte im Stadtgebiet war anonym und freiwillig. Die Teilnahme ergab mit 602 Rückmeldungen von 2.400 ausgestellten Fragebögen, eine Beteiligung von 25%.
Das Stadtgebiet wurde dabei in 4 Teilbereiche aufgeschlossen
(siehe auch Bild zum Artikel aus dem AMTSBLATT):
Teilgebiet 1 die großen Wohnblocks in der Richthofen- und Boelckestraße.
Teilgebiet 2 das sog. "Held*innenviertel".
Teilgebiet 3 die Verlängerung der Langemarckstraße bis Oltmannstraße / Auf der Hardt und Birkenweg.
Teilgebiet 4 vom Schlierbergstieg, Peter-Thumb-Straße bis Wippertstraße, "östlich der Merzhauser Straße".
Die Auswertung erfolgte nach 3 Kriterien:
1. Verdrängungspotenzial
2. Aufwertungspotenzial
3. Verdrängungsdruck und städtebauliche Folgen

Hierzu folgend zwei Kommentare:

1. Eine Stadt für Alle / Recht auf Stadt aus dem "der FREIeBÜRGER das Straßenmagazin" Ausgabe Juni 2022:
"Kein Milieuschutz für Unterwiehre-Süd
Das Quartier Unterwiehre-Süd, also das Gebiet, das von Bahnlinie, Basler- und Merzhauser Straße begrenzt wird und sowohl die Hochhäuser als auch die ehemaligen französischen Kasernen umfasst, bekommt doch keine soziale Erhaltungssatzung. Ein Verdrängungsdruck, der zu negativen städtebaulichen Folgen führe und rechtliche Voraussetzungen für die sogenannte Milieuschutzsatzung wäre, könne nicht eindeutig nachgewiesen werden, so die Stadtverwaltung. Sie bezieht sich bei dieser Bewertung auf ein Gutachten von ALP, einem Institut für Wohnen und Stadtentwicklung. Dieses führt aus, dass bei ca. 44% der Wohnungen Modernisierungsarbeiten durchgeführt wurden oder werden und das Mietniveau im Bestand bei 10,90 € Kaltmiete im Vergleich zu 9,50 € in ganz Freiburg liegt. Die Neuvertragsmieten liegen laut Untersuchung um 44 % höher als die von mindestens zehn Jahren bestehenden Altverträgen.
Der Grund, warum angeblich trotzdem kein Verdrängungsdruck vorliegt, klingt paradox. LangzeitbewohnerInnen verfügen demnach im Median über 2.176 € Haushaltseinkommen, die "Zugezogenen" dagegen nur über 2.024 €. Da die bisherigen BewohnerInnen momentan nicht von Reicheren verdrängt werden, sondern "nur" zu konstatieren ist, dass allen dort Lebenden durch die Mietsteigerungen immer weniger Geld zum Leben bleibt, wird nicht von Verdrängungsdruck gesprochen, sodass keine Milieuschutzsatzung erlassen werden könne. So kann dann weiter "aufgewertet" werden, denn dafür sieht die Studie durchaus Potenzial und das Wohnen in Freiburg wird weiter verteuert. Was hilft? Die Vergesellschaftung von Wohnraum!"
(Homepage: www.rechtaufstadt-freiburg.de)

2. Bürgerverein Mittel- und Unterwiehre aus dem "Wiehre-Journal" Nr. 75 Mai 2022:
"Aufhebung des Aufstellungsbeschlusses für eine Soziale Erhaltungssatzung für das Gebiet "Westliche Unterwiehre"
Wir berichteten im Wiehre-Journal Nr. 70 über den Aufstellungsbeschluss des Gemeinderates der Stadt Freiburg für eine sog. "Soziale Erhaltungssatzung" für das Gebiet "Westliche Unterwiehre" (Drucksache G-21/053). Die Auswertung einer repräsentativen Befragung der Bewohner*innen des Aufstellungsgebietes hat jedoch den Gemeinderat dazu veranlasst, den Aufhebungsbeschluss am 17. Mai 2022 wieder aufzuheben.
Die Untersuchung sieht in allen vier Teilräumen des Aufstellungsgebietes große Aufwertungspotentiale. Neben der erforderlichen energetischen Modernisierung wird auch die Attraktivität für Investor*innen vor allem der Teilräume 2, 3 und 4 gesehen. Insbesondere dem Teilraum 2 wird ein großes Verdrängungspotential attestiert. Allerdings wird im Augenblick kein umfänglicher hoher Verdrängungsdruck gesehen, dieser ist letztendlich Anwendungsvoraussetzung für eine Erhaltungssatzung. Spätestens 2025 soll eine "anlasslose" Überprüfung zumindest des Teilraumes 2 erfolgen. Ausführliche Details finden Sie in der Beschlussvorlage (Drucksache G 22/082).
Zusammen mit der Bewohner-INI e.V. und dem Quartiersbüro Unterwiehre / Nachbarschaftswerk e.V. haben wir versucht, dass der Gemeinderat den Aufhebungsbeschluss aussetzt, (Das Gesuch finden Sie im Anschluss an diesen Kommentar) um die Ergebnisse der Befragung der Bewohner*innen weiter zu analysieren und zu validieren. Von den knapp 2.500 Haushalten gab es einen Rücklauf von 25%. Ein gutes Ergebnis laut Verwaltung und Gemeinderat. Da aber beim "verdrängungsdruck" im Wesentlichen zwei Kriterien den Aufstellungsbeschluss zu Fall gebracht haben, hätte hier nachgehakt werden sollen:

  • Das Einkommen der Langzeitbewohner*innen ist höher als dass der neu zugezogenen Bewohner*innen.
  • Es wird keine auffällige Modernisierungstätigkeit bzw. Abriss- oder Neubauaktivität gesehen.

Das "Einkommensparadoxon" hätte bei einem Rücklauf von nur 25% genauer analysiert werden müssen. Dass wenig Modernisierungsaktivitäten zu beobachten sind, liegt auch daran, dass in den Jahren 2011/2012 vornehmlich in der Langemarckstraße eine große Gentrifizierungswelle durch Nachverdichtungsprojekte erfolgte. Da war die Stadt (mal wieder) zu spät dran - und diese Gefahr besteht trotz der angekündigten Überprüfung in zwei bis drei Jahren erneut.
Vergessen wurde aus unserer Sicht, die (Alters-)Struktur der Eigentümer*innen zu untersuchen. Das im Gutachten festgestellte hohe Aufwertungspotential und der damit verbundene Sanierungsstau wird in naher Zukunft größere Investitionen erfordern. Gerade ältere Eigentümer*innen können oder wollen dieses Geld nicht mehr aufbringen. Dies unterstreicht die im Gutachten festgestellte fehlende Modernisierungstätigkeit. Investor*innen mit Gewinnorientierung werden hier ggf. sehr schnell einspringen. Auffällig ist auch eine weitere Gruppe von Eigentümer*innen, die hohe Mieten aus dem nicht renovierten Bestand realisieren und allenfalls minimal in Reparaturen investieren."
Artikel aus dem "Wiehre-Journal" Nr. 75 Mai 2022 von Willi Sievers

Bewohner-INI e.V.
Gemeinsam mit der Quartiersarbeit (Quartiersbüro Unterwiehre / Nachbarschaftswerk e.V.) und dem Bürgerverein Mittel- und Unterwiehre haben wir mittels eines Gesuches an die Gemeinderät*innen versucht, die Aufhebung des Aufstellungsbeschlusses zur "Sozialen Erhaltungssatzung "Westliche Unterwiehre"" auszusetzen.

Im folgenden Auszüge aus dem bereits angeführte Gesuch zur Aussetzung der Aufhebung der Erhaltungssatzung an den Gemeinderat: "Sehr geehrte Gemeinderätinnen und Gemeinderäte, uns wurde diese Woche in einem digitalen Treffen mit dem Amt für Projektentwicklung und Stadterneuerung bekannt gegeben, dass es keine Anstrengungen mehr bezüglich der „Sozialen Erhaltungssatzung“ in der Unterwiehre geben wird. Von den insgesamt 3 zu erreichenden Kriterien sind 2 erfüllt, der 3 und letzte Punkt: „Verdrängungsdruck“ kann nach den vorliegenden und ausgewerteten Umfrageergebnissen allerdings „nicht vollumfänglich bestätigt werden“.

An dem digitalen Treffen nahm Frau Vorrath aus dem Vorstand des Bewohnervereins Bewohner-INI e.V., Herr Sievers vom Vorstand des Bürgervereins Mittel- und Unterwiehre sowie Herr Heckwolf für die Quartiersarbeit Unterwiehre "Westlich der Merzhauser Straße" teil. In einer anschließenden Unterredung sind wir zu der gemeinsamen Entscheidung gekommen Sie, als Gemeinderät*innen zu bitten, die am 17.05.2022 in der Gemeinderats-Sitzung anstehende Aufhebung des Beschlusses auszusetzten.

Gründe für unser Gesuch:
1. Beteiligung
Die Beteiligung liegt bei etwa 600 Rückmeldungen. Dies entspricht einer Teilnahme von 25 % der befragten Haushalte. Wir sind der Ansicht, dass diese geringe Beteiligung tatsächlich als valide Grundlage einer solch folgenschweren Entscheidung Bestand haben kann. Infolgedessen wünschen wir eine optimierter bzw. zielgruppenorientiertere Ausgestaltung der Befragungsverfahrensweise. Bspw. sind die Rückmeldungen von Menschen mit Migrationshintergrund sehr niedrig. Da der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund im Quartier allerdings sehr hoch ist, halten wir es für notwendig weitere Daten zu sammeln, um ein wirklich allumfassendes Bild der aktuellen Milieubeschaffenheit des Quartiers bekommen zu können. In unserem Gespräch, vergangenen Montag kam der Gedanke auf, den Fragebogen in unterschiedlichen Sprachen zu konzipieren. Dies könnte die Teilhabe für viel mehr Menschen ermöglichen, vor allem eben für diejenigen Familien und Einzelpersonen die von der Erhaltungssatzung enorm profitieren würden.

2. Eigentümer*innen
Nicht hinreichend bzw. gar nicht untersucht wurde die (Alters-) Struktur der Eigentümer*innen. Das im Gutachten festgestellte hohe Aufwertungspotential und der damit verbundene Sanierungsstau sowie die Notwendigkeit einer zeitnahen energetischen Ertüchtigung der Gebäude wird in naher Zukunft größere Investitionen erfordern. Gerade ältere Eigentümer*innen können oder wollen dieses Geld nicht mehr aufbringen. Dies begründet sehr wahrscheinlich die im Gutachten festgestellte fehlende Modernisierungstätigkeit. Investoren mit Gewinnorientierung werden hier sehr schnell einspringen. Auffällig ist eine weitere Gruppe von Eigentümer*innen, die ein Maximum an Miete aus dem Bestand realisiert und allenfalls minimal in Reparaturen investiert.

3. Hinzugezogene junge Familien und deren Einkommen
Zitat aus dem Ergebnis: „Einkommen Langzeitbewohner höher als das der Zugezogenen“ Dies ist sehr interessant. Sind doch die zugezogenen, meist jungen Familien, welche wie überall auch am Anfang ihrer Karriere eben nicht mit hohem Einkommen ausgestattet werden. Der Druck, mit der frisch gegründeten Familie und der Arbeit, die Miete und den allgemeinen Lebenserhaltungskosten standzuhalten ist hoch. Hier sehen wir ein kleines Paradoxon.

Zu guter Letzt kann man unserem Gesuch zur Aussetzung des -Beschlusses zur Aufhebung- auch führsprechen, da, wie allgemein bekannt, diese Bestrebung einfach viel zu spät kommt. Die große Gentrifizierungsmaßnahme im Stadtteil Unterwiehre „westlich der Merzhauser Straße“ in den Jahren 2011/2012, vornehmlich in der Langemarckstraße, ist im Zeiterfassungssystem der Befragung nicht mehr relevant und auch die darauffolgenden Nachverdichtungsprojekte (...) sind längst abgeschlossen."

Hier geht es zum Artikel der Badischen Zeitung